Leben mit einer Glutenunverträglichkeit – Ein Interview

Hallo Herr Schweitzer, vielleicht stellen Sie sich bitte am besten kurz vor.

Sehr gerne: ich kam vor 27 Jahren als Michael Schweitzer in Saarbrücken zu Welt. Nach meinem BWLStudium lebe ich in Saarbrücken und arbeite im politischen Bereich. Darüber hinaus bin ich auch als Dozent an der saarländischen Verwaltungsschule tätig.

Seit wann haben Sie die Diagnose Glutenunverträglichkeit?

Ehrlich gesagt, kann ich mich da gar nicht daran erinnern, denn es wurde bei mir schon ganz früh, im Alter von 5 bis 6 Monaten, während der Abstillzeit festgestellt. Unter anderem führte ein Brei mit Hafer zu Auffälligkeiten wie Verdauungsstörungen und Hautausschlag. Ein damals junger, pfiffiger Kinderarzt, Dr. Klein in Saarbrücken, hatte dann recht schnell die Idee der Glutenunverträglichkeit ins Spiel gebracht. Er fand zudem heraus, dass ich neben Gluten auch auf Haselnüsse und Hühnerei allergisch reagiere.

Wie war Ihr (Leidens)Weg zur Diagnose damals?

Im Vergleich zu anderen Menschen, die z. T. einen langen Leidensweg und falsche Diagnosen zu erdulden haben, hatte ich „Glück“ gehabt. Es war zwar recht schnell klar, dass es auf eine Glutenunverträglichkeit hinauslaufen könnte; es hat dann doch gut 2 Jahre gedauert, bis letztlich alle Test und Untersuchungen abgeschlossen und alle Allergien bekannt waren. Die Allergie war auch mit Asthma verbunden. Dadurch, dass ich mich nun konsequent, korrekt und glutenfrei ernähre, bin ich seit langer Zeit symptomfrei.

Wie ging es Ihnen damals?

Ich hatte – so berichteten mir meine Eltern – Bauchschmerzen, Ausschläge und Asthma, das von den Allergien herrührte. Der Kinderarzt, der ja schnell auf dem richtigen Weg der Glutenunverträglichkeit war, empfahl die DZG, die Deutsche Zöliakie Gesellschaft, über die wir viele wertvolle Informationen und Empfehlungen erhalten hatten. Da meine Eltern sich an die Empfehlungen hielten, kam ich
beschwerdefrei durch die Kindheit.

Wie mussten Sie Ihre Ernährung umstellen?

Das A und O war, dass meine Ernährung 100 % glutenfrei blieb. Ich erinnere mich, dass damals meine Lebensmittel, vor allem Nudeln, Brot und Mehle, zum Teil per Post kamen und ich einen eigenen Kühlschrank und ein eigenes Gefrierfach hatte. Selbstverständlich waren auch Haselnüsse und Hühnerei tabu. Mit Konsequenz und Disziplin hatten wir das gut im Griff.

Wie war das glutenfreie Angebot im Supermarkt, im Restaurant?
Die Situation damals kann man mit der heutigen nicht vergleichen. Die Versorgung mit glutenfreien Lebensmitteln war sehr überschaubar. In den Supermärkten gab es kaum glutenfreie Waren. Diese mussten wir über einen Spezialversand oder direkt bei Produzenten von glutenfreien Produkten bestellen. Auch die Akzeptanz in Restaurants hat sich enorm gebessert. Heute ist dies kaum ein Thema, denn viele Restaurants haben auch glutenfreie Gerichte auf der Karte oder bereiten auf Wunsch Speisen glutenfrei zu.
Dies wurde sicherlich auch durch den „Glutenfrei“-Trend der letzten Jahre begünstigt, da ein glutenfreies Leben für alle Menschen gesünder ist. So bieten heute viele Supermärkte in ihrem Standardsortiment glutenfreie Waren an. Das Angebot ist recht groß, da es mittlerweile ja auch viele Online-Shops gibt, die sich auf „glutenfrei“ spezialisiert haben.

Wie war das Wissen über Zöliakie bzw. Glutenunverträglichkeit?

Wir hatten ja Gott sei Dank einen klasse Kinderarzt, der die Glutenunverträglichkeit schnell in Betracht zog und meine Eltern entsprechend aufgeklärt und sensibilisiert hat. Zudem gab es die DZG, die viele Informationen und Empfehlungen verständlich aufbereitet hat. Unser Kinderarzt hatte in meinem Fall mit einem Spezialisten des Klinikums Saarbrücken kooperiert, so dass wir immer kompetente Ansprechpartner hatten und uns gut aufgehoben fühlten. Die Informationsmöglichkeiten sind heute natürlich durch das Internet deutlich breiter als früher.
Als Mitglied bei der DZG erhielten wir regelmäßig Newsletter und Informationen über das DZG-Magazin sowie einmal jährlich ein Handbuch mit vielen Tipps, Rezepten, Bezugsquellen, Reisemöglichkeiten usw. Und meine Eltern hatten ein Regal voller Fachliteratur und Ratgeber. Ich war glücklicherweise der einzig Betroffene in der Familie; weder meine Eltern noch meine Schwester oder jemand anderes in der erweiterten Familie zeigten eine Glutenunverträglichkeit.

Wie geht es Ihnen heute mit der Gluten-Allergie?

Gut. Ich führe ein „normales“, vitales Leben. Ich kenne mein Leben ja auch nicht anders, mir fehlt also
jeder Vergleich. Meine Ernährung ist, wie sie ist, ich bereite mich auf Reisen vor und ansonsten komme
ich ohne Probleme im normalen Leben zurecht. Auf manche Dinge verzichte ich einfach, damit es mir
auch weiterhin gut geht.

In wie weit ist das tägliche Leben davon betroffen?
Wie gesagt, ist die Ernährung das A und O. Sie ist der Schlüssel zum Wohlbefinden. Für mich ist „meine“ Ernährung einfach natürlich. Es macht mir nichts aus, dass ich nicht wie meine Kollegen und Kolleginnen schnell ein gekauftes Sandwich in der Mittagspause verzehren kann oder dass das Sonntags-Croissant aus der Bäckerei für mich tabu ist. Gut, die Spontanität in der Ernährung bleibt bei mir etwas auf der Strecke. Im Laufe der Zeit habe ich jedoch ein verlässliches Bauchgefühl entwickelt, was ich zu mir nehmen kann und wovon ich besser Abstand nehme. Ich habe mich daran gewöhnt und führe ein normales Leben. So werde ich diesen Sommer nach Sardinen fahren und bin mir sicher, dass ich dort mit ein bisschen Vorbereitung keine großen Einschränkungen haben werde.

Ein gutes Stichwort: Wie sieht es beim Thema Reisen aus?

In meiner Kindheit waren klassische Hotels nicht möglich. Wir bevorzugten als Familie Ferienwohnungen und waren Selbstversorger. Für mich war das ok, weil es auch einfach nicht anders war. Damals hatte ich ja auch stellenweise noch Asthma, weshalb wir oft wegen des Reizklimas ans Meer fuhren. Im Kofferraum war dann ein Koffer nur für mich, vollgepackt mit glutenfreien Nudeln, Brot und Ähnlichem. Der Selbstversorger-Urlaub bot und bietet gerade für mich erhebliche Vorteile, denn ich muss nicht viel vorbereiten und habe keine Einschränkungen zu befürchten. Meist schaue ich lediglich, wo es denn Restaurants mit einem glutenfreien Angebot gibt.
Im Ausland ist das glutenfreie Sortiment in den Supermärkten mittlerweile deutlich gewachsen, so dass ich fast wie jeder andere unbeschwert in Urlaub fahren kann.

Wie reagiert das Umfeld, wenn Sie mitteilen, dass Sie diese Unverträglichkeit haben?

Ganz unterschiedlich. Manchen muss ich immer mal wieder sagen, was bei der Ernährung bei mir geht und was nicht, andere sind sensibilisiert und stellen sich z. B. bei Einladungen darauf ein, glutenfrei und ohne Hühnerei für mich zu kochen. Viele verstehen den Unterschied zwischen tierischem Eiweiß wie z. B. Fleisch und Hühnereiweiß nicht, so dass ich dann wieder erklären muss. Meine Freundin und ich haben anfangs getrennt gekocht. Heute kochen wir glutenfrei, außer bei Nudeln und Brötchen – da fahren wir zweigleisig. Die Allermeisten verstehen jedoch, dass ich einfach aufpassen muss und zeigen dafür auch Verständnis.

Was würden Sie sich in Bezug auf dieses Thema wünschen?

Privat: da kann ich mich nicht beschweren, mein Umfeld weiß von der Glutenunverträglichkeit und stellt sich darauf ein, bzw. hat gelernt, dass ich leider nicht „normal“ essen darf.
Beruflich: da muss ich mich vor allem in Bezug auf Veranstaltungen mit Essen vorsehen. Ansonsten spielt die Glutenunverträglichkeit im Berufsleben keine Rolle.
Öffentlich: da wiederum ist es oft so, dass ich erklären muss, warum ich z. B. eine Bratwurst einfach nur in der Serviette, ohne Brötchen, haben möchte. Früher erhielt ich auf dem Weihnachtsmarkt auch schon einmal den ein oder anderen schiefen Blick und man begegnete mir mit Unverständnis. Mittlerweile ist das Thema allerdings in der Gesellschaft präsenter und das Bewusstsein dafür höher.

Was raten Sie Menschen, die gerade von ihrer Diagnose Zöliakie bzw. Glutenunverträglichkeit erfahren haben?

Ruhe bewahren! Das Problem ist heute nicht mehr so groß wie früher. Es gibt unfassbar viele Angebote und Informationsmöglichkeiten. Heute ist viel mehr möglich in Bezug auf Ernährung und Reisen. Eine Mitgliedschaft in der DZG ist sicherlich sinnvoll, aber kein Muss. Auch eine schwere Zöliakie kriegt man in den Griff. Am wichtigsten ist die konsequente glutenfreie Ernährung! Ich denke, dass man diese Art der chronischen Erkrankung als lebenslangen Begleiter und nicht als seinen Feind betrachten muss. Mein Leben ist lebenswert auch ohne Haselnüsse, Eier und Gluten.

Lieber Herr Schweitzer, vielen Dank für Ihre Erfahrungen und Ihre Empfehlungen. Ihnen alles
Gute und weiterhin ein gesundes Leben!

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